In praktisch jedem Teil der Welt wurde oder wird der Langstock als Waffe verwendet. In früheren Jahrhunderten griff vor allem die ärmere Landbevölkerung darauf zurück, denn Bauern konnten sich keine Klingenwaffen leisten. Doch ein langer Gehstock war schnell zur Hand, wenn Gefahr drohte. So entstand in Japan das Bo-Jitsu, die Kunst des Kampfes mit dem Bo. Und in China kennen gleich mehrere traditionelle Stile den langen Stab, der dort Gun genannt wird. Auf den Philippinen enwickelte sich der Langstock Bangkaw aus dem Jagdspeer der indigenen Stämme. Vergleichsweise wenig bekannt sind heute die europäischen Traditionen – etwa der englische Quarterstaff.
Der englische Quarterstaff
In der Frühen Neuzeit, also der Epoche nach der Entdeckung Amerikas, gab es bereits einen regen Austausch unter den Fechtmeistern Europas. Verschiedene Schulen stritten darum, wessen Stil der effektivste sei. Der englische Adlige George Silver (um 1550 – um 1620) war zwar selbst kein Fechtmeister, vertrat aber als Buchautor starke Meinungen zum Thema. Im Jahr 1599 erschien sein einflussreiches Traktat zur Kampfkunst namens „Paradoxes of Defense“. Darin kritisierte er die Fechtschulen, die zu dieser Zeit auf dem Kontinent für Furore sorgten. Vor allem das Rapier konnte er gar nicht leiden. Diese schmale Klingenwaffe verbreitete sich von Italien und Spanien aus in ganz Europa. Dass die italienischen Rapier-Fechtmeister Rocco Bonetti und Vincentio Saviolo nun auch noch Schulen in seiner Heimatstadt London eröffneten, ging Silver so richtig gegen den Strich.
Doch George Silver beschrieb in seinem Buch auch den Kampf mit dem Langstock, den man in England „Quarterstaff“ nannte. Der Umgang mit dem Kampfstab beruhe auf derselben Methode wie der mit anderen Stangenwaffen, etwa mit dem Speer oder der Hellebarde, schrieb der Autor. Aber auch das beidhändig geführte Schwert werde sehr ähnlich gehandhabt. Im Langstock sah Silver jedenfalls eine ganz ausgezeichnete Waffe. Darin stimmte er mit anderen Autoren seiner Zeit überein, etwa dem Schotten Donald McBane oder dem Engländer Joseph Swetnam.
Die Gilde der Meister
Swetnam gehörte der “Company of Maisters of the Science of Defence” an, der Gilde der englischen Fechtmeister. Diese Organisation war einige Jahrzehnte zuvor unter der Herrschaft des Tudor-Königs Heinrich VIII. geründet worden. Ähnlich den Handwerkergilden hatte die Company of Masters von der Krone ein Monopol erhalten. Nur sie durfte Fechtmeister ausbilden und Lizenzen vergeben. Alle Mitglieder mussten sich an strikte Regeln halten und waren in eine Hierarchie eingebunden. So sollten gleichermaßen Qualität und Kontrolle sichergestellt werden.
Besonders beliebt bei der Londoner Bevölkerung waren die öffentlichen Prüfungen der Fechtmeister-Gilde. Beim „Prize Playing“ trat ein Meisterschüler nacheinander gegen mehrere Gegner an. Die Kämpfe waren hart, aber nicht, was man heute als "Vollkontakt" bezeichnen würde. Wie in einem Sparring stellten die Kämpfer ihre Fähigkeiten unter Beweis, ohne den Gegner wirklich hart zu treffen oder gar auszuknocken. Eine Schutzausrüstung gab es nicht. Tiefschläge waren zwar verboten, aber Kopftreffer erlaubt. Als Waffen verwendete man ein stumpfes Korbschwert oder Rapier, aber auch der Quarterstaff kam zum Einsatz. Das Publikum konnte die Prüfung beobachten und seine Favoriten anfeuern.
Auf dem Weg in die Moderne
Aus diesen noblen Veranstaltungen entwickelten sich im 18. Jahrhundert die wesentlich gröberen „Prize Fights“. Diese populären Events ähnelten eher Gladiatorenkämpfen. Sie boten ein blutiges Spektakel, teilweise kam es sogar zu Todesfällen. In diesen Wettkämpfen traten die Kontrahenten im Laufe der Zeit immer häufiger ohne Waffen gegeneinander an, letztlich legten sie sie ganz ab. Daraus entstand das englische Boxen. Der berühmte Faustkämpfer James Figg (1684-1737) gilt weithin als der erste Champion im Bare-Knuckle, dem Kampf ohne Handschuhe. Doch Figg war auch ein Meister des Stockkampfs und beherrschte den Quarterstaff. Im Laufe der Zeit wurde das Boxen durch Regeln gezähmt. Es entwickelte sich zu einer Sportart, die vor allem die unteren Schichten der Gesellschaft begeisterte.
Doch auch der Kampf mit dem Langstock bestand fort. Im späten 19. Jahrhundert unterrichteten mehrere Fechtschulen in England eine modernisierte Version. Die Schüler kamen vor allem aus den gehobenen Kreisen. Auch an der Militärakademie Aldershot im südenglischen Hampshire wurde der Umgang mit dem Quarterstaff gelehrt. Dabei trug man eine Schutzausrüstung, ähnlich wie beim Fechten. Neben dem Langstock kannte die englische Stockkampfkunst auch den Singlestick, einen einhändig geführten Stock mit Handschutz. Der wurde aber nicht unbedingt als vollwertige Waffe gesehen, sondern vor allem zum sicheren Üben von Schwertkampftechniken verwendet.
Der Quarterstaff war beileibe nicht der einzige Langstock-Kampfstil in Europa. Praktisch gleichzeitig entstand in Frankreich der Stil des Cannes de Combat und in Portugal das Jogo do pau. Heute versuchen verschiedene Vereine, die alten Kampfkünste Europas wiederzubeleben. Anhand der Handschriften der alten Meister und deren kunstvollen Illustrationen rekonstruieren sie die damalige Technik, so gut das möglich ist, und setzen sie in die Praxis um.
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Bild: Gutenberg Project